Theaterpreis des Bundes 2024
Preisträger*innen
2024 wurde der Theaterpreis des Bundes erneut vergeben: Ausgezeichnet wurden je ein Theater in den Kategorien Stadttheater & Landesbühnen, Privattheater & Gastspielhäuser sowie Freie Produktionshäuser mit jeweils 100.000 €. Darüber hinaus wurde der übergreifende Theaterpreis des Bundes mit einer Dotierung von 200.000 € verliehen. Die Preisträger*innen 2024 waren:
„Das Ernst-Barlach-Theater steht seit 200 Jahren in Güstrow und ist das älteste erhaltene Bürgertheater Mecklenburg-Vorpommerns. Heute wirkt es als Gastspielhaus in einer strukturschwachen Region mit politischen Herausforderungen durch eigene kulturelle Alternativangebote und überzeugt durch die Balance im Programm zwischen Tradition und zeitgenössischer Ausrichtung. Durch eine bemerkenswerte Bandbreite von klassischen Schauspielproduktionen (in hoch- und niederdeutscher Sprache), über Kinder- und Jugendtheater bis hin zu Ballett, Kabarett und Sinfoniekonzerten erreicht das Theater eine hohe Besucher*innenzahl quer durch alle Gesellschaftsgruppen. Die neu initiierte Öffnung des Programms für performative Ansätze und in die Freie Szene hinein durch Kooperationsprojekte im Bereich zeitgenössischer Zirkus und Tanz überzeugte die Jury dabei ganz besonders. Mit umfangreichen partizipativen Begegnungs- und Bildungsangeboten, wie Künstler*innengespräche zur Vermittlung von unterschiedlichen Arbeitsweisen und Regiehandschriften, Probenbesuche, Theaterführungen, Workshops für Kinder und Jugendliche und Fortbildungen für Lehrer*innen schafft das Theater eine beispielhafte Verankerung des Hauses in der ganzen Stadt und Region. Hier wird die Basis gelegt für ein kreatives Miteinander, hier werden Sinne geschärft, demokratische Strukturen gelernt und respektvoller Umgang geübt. Das Ernst-Barlach-Theater setzt dabei mit seiner Arbeit ein mutiges Zeichen für kulturelle Teilhabe, Toleranz und Bildung und leistet einen unverzichtbaren Beitrag zur Stärkung der Gesellschaft durch die Förderung eines offenen, aufgeklärten Dialogs. Und erhält dafür die Auszeichnung des Theaterpreises des Bundes 2024 in der Kategorie Privattheater & Gastspielhäuser." - Jurybegründung
„Das FELD Theater für junges Publikum in Berlin-Schöneberg ist ein innovativer, inklusiver und intergenerativer Produktionsort für künstlerische Begegnungen und Entwicklungen, der durch künstlerischen und strukturellen Wandel in Aktion überzeugt. Seit seiner Eröffnung im Dezember 2018 ist das FELD zu einem herausragenden Spielort für junges Publikum geworden, der sich in rasanter Weise neu- und weiterentwickelt und beweist, dass auch ein kleines Haus mit einem kleinen Team Großes schaffen kann. Die forschende und partizipative Arbeitsweise, die eine enge Zusammenarbeit mit Kitas, Schulen und sozialen Akteur*innen umfasst, fördert politisches Denken und Selbstermächtigung für junge Menschen sowie auch altersoffene Ansätze. In Eigenproduktionen und Koproduktionen unterschiedlichster Ästhetiken setzen sich renommierte Künstler*innen und Gruppen der Freien Szene, die hier oft zum ersten Mal für junges Publikum inszenieren, intensiv mit alltagsrelevanten Themen wie Umwelt, Klima, Nachhaltigkeit und Zukunft auseinander. Dabei öffnet sich das Theater für die Nachbar*innen im Kiez und ist durch seine Kooperationen gleichzeitig auch international vernetzt. Besonders hervorheben möchte die Jury den Fokus des Theaters auf Inklusion und die Taube* Community, beides sehr konsequent sowohl personell als auch programmatisch verankert, wie durch bilinguale Produktionen mit integrierter Deutscher Gebärdensprache. Trotz seiner jungen Geschichte, aber mit einem geschärften Blick für Langzeitprozesse, trägt das FELD maßgeblich zu Fortschritt und Forschung im Kinder- und Jugendtheater bei und lässt auf nachhaltige Ergebnisse in Form von substanzieller Wissensproduktion hoffen. Dafür verdient es die Auszeichnung des Theaterpreis des Bundes 2024 in der Kategorie Freie Produktionshäuser." - Jurybegründung
„Das Hessische Landestheater Marburg (HLTM) setzt mit dem „Marburger Modell“, der ersten gleichberechtigten (weiblichen) Doppelspitze an einem öffentlich finanzierten Haus, bundesweit Maßstäbe für andere Theater. Durch eine künstlerische Leitungskonstellation, die sich bewusst mit machtkritischen Diskursen auseinandersetzt, fördert es ein modernes und verantwortungsbewusstes Arbeitsumfeld: Die Intendantinnen Eva Lange und Carola Unser-Leichtweiß praktizieren ebenso modellhaft und wegweisend einen Führungsstil, der sich in Equal Pay, demokratischen Entscheidungsprozessen und familienfreundlichen Arbeitszeiten mit dem langfristigen Ziel der Etablierung eines „CareZentrierten Theaterbetriebs“ manifestiert. Das HLTM beeindruckt aber nicht nur betrieblich-strukturell durch das Erproben neuer Ansätze, seit ihrem Start gelingt es dem Team mit begrenzten Mitteln und trotz schwieriger räumlicher Situation gleichzeitig alle Anforderungen und Herausforderungen einer Landesbühne zu meistern, ambitioniertes, zeitgenössisches Sprechtheater zu präsentieren, Diversifizierungs- und Öffnungsprozesse auch auf künstlerischer Ebene anzustoßen und dabei die Vorlieben unterschiedlichster Publika in den Blick zu nehmen. Bemerkenswert ist das Engagement für Autor*innen und für die (lokale) Nachwuchsförderung: Das „Studio Marburg“, ein gemeinsames Schauspielstudio mit der Kunstuniversität Graz und der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main, ermöglicht Studierenden wertvolle Praxiserfahrungen und stärkt so die zukünftige Theaterlandschaft nachhaltig. Das HLTM überzeugt durch die Courage, im gesellschaftlich besten Sinne unbequem zu sein, leuchtet mit seinem künstlerischen Schaffen unterschiedlichste geographische und gesellschaftliche Blickwinkel aus und bekommt dafür die Auszeichnung des Theaterpreises des Bundes 2024 in der Kategorie Stadttheater & Landesbühnen." - Jurybegründung
„Die Schwankhalle in der Bremer Neustadt ist eines der zentralen Produktionshäuser in Deutschland. Zur Programmatik gehört die gesamte Vielfalt der performativen Künste mit aktuellen Positionen aus Performance, Theater, Tanz und Musiktheater auf nationaler und internationaler Ebene. Gleichzeitig ist die Schwankhalle ein maßgeblicher Verstärker der Freien Szene in Bremen, bietet lokalen Künstler*innen Residenzen, Koproduktionen, Aufführungs- und Vernetzungsmöglichkeiten sowie kulturpolitische Strategieberatung und vereint politisches Theater mit der Kunst der herzlichen Gastgeber*innenschaft. Das Team um die künstlerischen Leiterinnen Anna K. Becker und Katrin Hylla entwickelt dafür die bisherige Arbeit der Schwankhalle bemerkenswert weiter, indem sie die lokale Verankerung über neue künstlerische Formate ausgebaut und Spiel- und Denkräume für vielfältige Perspektiven geschaffen haben. Vom „Bootsballett mit Blechmusik“ auf dem Werdersee, über den nachbar*innenschaftlichen „Schwankcore“, das Versammlungsformat „Open Schwankhalle“, das von Bremer Kindern gegründete „Kindergericht“ bis zu Flohmarkt und regelmäßigen Spieleabenden – mit der Entwicklung einer Vielzahl an Projekten übernimmt die Schwankhalle viele Aufgaben eines Theaters für die Stadt und stellt mit einer großen Portion künstlerischem Erfindungsreichtum dessen Potenzial als Dritter Ort in den Fokus, indem Barrieren abgebaut und neue Zugänge für neue Publika geschaffen werden. Unter dem Motto „Platz machen“ bekommen dabei insbesondere marginalisierte Stimmen und Positionen Sichtbarkeit. Die Schwankhalle zeichnet sich aus durch eine ganzheitliche Förderung der Freien Szene, die Präsentation von mutigen, herausragenden Positionen und die Initiierung eines wertschätzenden, solidarischen Diversifizierungsprozesses nach innen und außen. Dabei beeindruckt vor allem der Spagat zwischen qualitativ hochwertigem, künstlerischem State of the Art-Programm und dem konsequent und sehr überzeugend verfolgten Weg auf erfrischende und experimentierende Art und Weise in die Stadt und zukünftige Publikumsräume hineinzuwirken. Die Schwankhalle ist Preisträgerin des Theaterpreises des Bundes 2024 und die Jury freut sich auf viele weitere zukunftsweisende und inspirierende Projekte aus Bremen." - Jurybegründung
Preisverleihung
Die Preisverleihung des Jahrgangs 2024 gab den Preisträger*innen eine Bühne und stellte ihre Innovationskraft und ihr Engagement für Theater als gesellschaftlichen Reflexions- und ästhetischen Erfahrungsraum am Puls der Zeit in den Fokus. Ein Fest für die Vielfalt der bundesweiten Theaterlandschaft, bei dem diesmal auch der Tabori Preis des Fonds Darstellende Künste vergeben wurde.
An der künstlerischen Vielstimmigkeit der Preisträger*innen war auch das Programm des Abends – kuratiert von Regisseur Tucké Royale – ausgerichtet: Unter der Leitung von Christine Groß und Roman Ott entstand ein Arrangement chorischer Interventionen, das eigens entstehende zeitgenössische Texte von Sivan Ben Yishai, Boris Nikitin, dem Kollektiv 1pp1 und Olivia Wenzel mit Klassikern der Theater- und Kulturgeschichte vereinte. Durch den Abend führten die Schauspieler*innen Thelma Buabeng und Daniel Zillmann.
An das künstlerische Bühnenprogramm schloss sich ein Empfang zum DJ-Set von That Fucking Sara.
Jury
Über die Vergabe des kategorienübergreifenden Hauptpreises befand die Gesamtjury.
Für die einzelnen Preise in den Kategorien setzte sich die Jury wie folgt zusammen:
Kategorie 1: Stadttheater und Landesbühnen:
- Tessa Hart – Kulturmacher*in & Kulturwand(l)er*in
- Shirin Sojitrawalla – Kulturjournalistin und Moderatorin
- Christina Zintl – Intendantin Schauspiel Essen, Dramaturgin
Kategorie 2: Privattheater und Gastspielhäuser:
- Stephan Czuratis – Theaterleiter
- Michael Lang – Intendant Ohnsorg Theater
- Ayla Yeginer – Regisseurin
Kategorie 3: Freie Produktionshäuser:
- Bettina Masuch – Künstlerische Leiterin Festspielhaus St. Pölten
- Anta Helena Recke – Künstlerin, Regisseurin
- Mey Seifan – Choreografin, Kuratorin, Expertin für Diversity, Equity und Inclusion
Symposium: Pleasures & Politics of Autonomy – Theater zwischen Widerständigkeit und Verantwortung
Am Tag der Preisverleihung fand am im Haus der Berliner Festspiele ein halbtägiges Symposium statt. In Panel-Diskussionen, moderierten Arbeitsgruppen und Impulsvorträgen diskutierte das Symposium: Theater brauchen Freiräume in ihrem künstlerischen Handeln und in der Entwicklung ihrer Strukturen. Solche Freiräume entstehen, wenn ihnen die Möglichkeit gegeben wird, selbstbestimmt und autonom zu sein. Doch was bedeutet es, als Theater autonom zu sein? Bedeutet Selbstverwaltung gleichzeitig auch mehr Spielraum auf struktureller Ebene? Und hieße es, ein ästhetisch wagemutiges Programm zu planen, ohne dass gesellschaftliche Erwartungen gestellt werden, die über ein reines „Kunsterlebnis“ hinausgehen?
In Impulsen, Gesprächsformaten und einem Panelgespräch mit den Preisträger*innen wurden die Potentiale eines autonomen Theaters ausgelotet und gleichzeitig mögliche Gefahrenstellen eruiert. Pleasures; das ist das Vergnügen, sich dem Eigensinnigen, Ambivalenten und Unbekannten zu widmen – künstlerisch autonom zu sein. Politics; das ist die Herausforderung, rechtliche und politische Rahmenbedingungen zu schaffen, in dem solche autonomen Freiräume entstehen können, die im Zweifel auch dem Zugriff von autoritären und reaktionären politischen Kräften widerstehen. Und in beidem kulminiert die Frage, wie ein sozial engagiertes Theater wachsen kann, ohne auf seine Funktionalität reduziert zu werden.
Die Panelgespräche wurden aufgezeichnet und werden als Video-Dokumentation unter www.iti-germany.de zur Verfügung gestellt.
Der Theaterpreis des Bundes wurde im Jahr 2023 von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien verliehen. Projektträger war das Zentrum Bundesrepublik Deutschland des Internationalen Theaterinstituts e.V. (ITI) in Kooperation mit dem Fonds Darstellende Künste e.V.