Theaterpreis des Bundes 2023
Preisträger*innen
2023 wurde der Theaterpreis des Bundes neu aufgestellt: Ausgelobt wurde je eine Auszeichnung in den Kategorien Stadttheater & Landesbühnen, Privattheater & Gastspielhäuser sowie Freie Produktionshäuser zu je 100.000 €, sowie übergreifend der mit 200.000 € dotierte Theaterpreis des Bundes. Zu den Gewinner*innen zählten:
„Das Theater Ballhaus Naunynstraße in Berlin-Kreuzberg hat sich diese Aufgabe zum Prinzip gemacht, Schwarze künstlerische Perspektiven und künstlerische Perspektiven von Persons of Color hervorzuheben. Somit bietet es seit vielen Jahren einen der wichtigsten Reflexionsräume innerhalb der deutschsprachigen Theaterlandschaft für postkoloniale Strukturen in Alltag und Kunst.
Das Ballhaus ist eine Geburtsstätte für postkoloniale künstlerische Handschriften, Narrative und Identitätsbildung. In der Vergangenheit sowie auch zukünftig wird dieses Theater zahlreichen Schwarzen und Künstler*innen of Colour eine Plattform dafür bieten, ihre künstlerischen Visionen und Arbeiten sichtbar zu machen, die sonst innerhalb der vorherrschenden Strukturen unsichtbar bleiben würden. Dieses Haus ist in seiner Programmatik wie ein Fanal für die Diversifizierung des bundesrepublikanischen Theaterbetriebs: Hier wurden postmigrantische Stimmen nicht nur erstmals laut vernehmbar, hier wurde der Begriff des postmigrantischen Theaters als solcher erfunden und geprägt – hier wurde der Weg eines Practice What You Preach in der Entwicklung von Programm, Publikum und Personalstrukturen eingeschlagen, den der aktuelle künstlerische Leiter Wagner Pereira de Carvalho und sein Team seit nunmehr 10 Jahren konsequent in Richtung intersektionaler Diversity nicht nur auf, sondern auch hinter und vor der Bühne weiterentwickelt. Damit schafft das Ballhaus Naunynstraße einen singulären Rahmen für die selbstbestimmte Produktion von schwarzen, queeren und Künstler*innen of Color. Dabei schafft das Ballhaus ebenfalls Zugänge für junge Künstler*innen und Quereinsteiger*innen, indem es gezielt den Nachwuchs fördert und dabei nachhaltig in der Entwicklung künstlerischer Handschriften wirkt: Zahlreiche Künstler*innen haben hier ihre ersten Inszenierungen realisiert, über die Jahre eine Vielzahl qualitativ hochwertiger Arbeiten am Ballhaus realisiert, die ihresgleichen suchen und dabei nicht selten auch überregional, bundesweit und international mit Ihrer Kunst hart erarbeitete und mehr als verdiente große und größte Beachtung gefunden." - Jurybegründung
„Die Speerspitze einer dynamischen Entwicklung der Darstellenden Künste, die bestehende Grenzen zwischen Genres, aber auch Betriebsformen überwindet: Wie kein zweites Haus steht das Theater Chamäleon mitten in Berlin für die Weiterentwicklung des Zirkus über den Noveau Cirque bis hin zu einem zeitgenössischem Zirkus, der sein künstlerisches und Publikumspotential so entfaltet, dass sich alte Fragen nach U.- oder E.-Kultur, nach Sub- oder Hochkultur, nach fest oder frei in körperlich spürbare ästhetische Energie sublimieren. Beispielgebend wirkt insbesondere der Umgang des Theaters mit seinen am Haus residierenden Künstler*innen während der Pandemie: Trotz 18 Monaten Schließzeit, unplanbaren Bedingungen und keinerlei finanziellen Sicherheiten hat das Chamäleon diese Zeit zu einem inhaltlichen Neustart und einem künstlerischen Inkubator für sich werden lassen, inkl. sozialer Absicherung der internationalen Companien, neuer Koproduktionen und Residenz-Programmen sowie einer Steigerung der Zugänglichkeit und Publikumsbegegnung. Die exzellente aufbereitete Bewerbung dieses Hauses verdeutlicht, wie viel Innovationsfreue und Transformationskraft auch und gerade von privaten Theatern auszugehen vermag: Das Theater Chamäleon beweist, dass programmatisch-künstlerische und betriebliche-strukturelle Profilierung und Erfolg bei Publikum und Kasse kein Widerspruch sein müssen. Und erhält für diese(n) die Auszeichnung des Theaterpreises des Bundes 2023 in der Kategorie Privattheater & Gastspielhäuser." - Jurybegründung
„Schon vor dem 25. Jubiläumsjahr richteten sich viele Blicke auf dieses OFF-Theater in Leipzig, Sachsen, Mitteldeutschland: Das LOFFT steht für ästhetische Innovation und künstlerisches Erfindungsreichtum, für gelebte Weltoffenheit und Inklusion, aber auch für ein Team, das nicht nur agiles Arbeiten, sondern auch die eigene fachlandschaftliche Vernetzung und kulturpolitische Positionierung so groß schreibt, dass das LOFFT einer der prägenden und beispielgebenden Knotenpunkte auf der Mental Map der Freien Darstellenden Künste ist. Aus dem in vielfältiger Form zeitgenössisch künstlerischem Programm besonders hervorheben will die Jury die in den letzten Jahren aufgebaute hauseigene FORWARD DANCE COMPANY. Dort arbeitet ein Mixed-Abled-Ensemble von sechs Tänzer*innen mit wechselnden Choreograph*innen zusammen und erreicht bereits nach wenigen Jahren eine deutlich sichtbare nachhaltige Erschließung neuer Publikumsschichten. Das LOFFT zeichnet sich aus durch lokale Nachwuchsförderung und überregionale Koproduktionen, durch Recherche- und Stadtprojekte genauso wie durch Gastspiele renommierter Künstler*innen, durch Publikumserweiterung mit langem Atem und besonderem Augenmerk auf marginalisierte Gruppen. Kurzum: Der ganz offensichtlich über Jahre konsequent verfolgte konzeptuelle Weg des LOFFT zeugt von großer Bewusstheit für die Fragen und Herausforderungen unserer Gegenwart. Er verdient unser Aller Aufmerksamkeit und die Auszeichnung des Theaterpreises des Bundes 2023 in der Kategorie Freie Produktionshäuser." - Jurybegründung
„„Triumph der Provinz“ – „Kreativste Theaterruine Deutschlands“: Das Theaterhaus Jena in Thüringen überzeugt strukturell ebenso wie künstlerisch-ästhetisch, sucht sowohl zeitgenössische Augenhöhe, als auch stadtgesellschaftliche Nähe. Von der „Geschichte meiner Steifheit“ über „Deutschkurs“ bis „Leaving Carthago“ – ob mit Laien im Chor der Mütter, unterhaltsam im Sommertheater oder klassisch mit der Philharmonie – die anhaltend große Resonanz für die künstlerische Arbeit von Wunderbaum, Lizzy Timmers, Marten van Otterdijk und dem Jenaer Ensemblerat beweist: Kollektive künstlerische Arbeit kann auch in der kleinen Großstadt ankommen. Während andere noch über die Möglichkeiten transparenter Trägerschaft, kollektiver Leitung und basisdemokratischer Steuerung diskutieren, wird hier seit mehr als 30 Jahren ein bundesweit einmaliges Modell praktiziert: Das Theaterhaus ist eine gGmbH, die nicht nur ausschließlich aktuellen und früheren Mitarbeiter*innen des Hauses gehört, sondern nicht zuletzt mit Wunderbaum und dem Modell eines Ensemblerats ihrem satzungsgemäßen Auftrag konsequenter künstlerischer und strukturbetrieblicher Forschung gerecht wird." - Jurybegründung
Preisverleihung
Die Preisverleihung der fünften Ausgabe des Theaterpreis des Bundes fand am 11. Oktober 2023 im Haus der Berliner Festspiele statt. Der Abend gab den diesjährigen Preisträger*innen eine Bühne und stellte ihre Innovationskraft sowie ihr Engagement für Theater als gesellschaftlichen Reflexions- und ästhetischen Erfahrungsraum am Puls der Zeit in den Fokus – gerahmt von Live-Acts, Musik- und Showeinlagen u.a. mit der Band Kara Delik und der Theaterautorin Sivan Ben Yishai. Durch den Abend führte die Journalistin und u.a. aus ZDF aspekte bekannte TV-Moderatorin Salwa Houmsi.
Jury
Über die Vergabe des kategorienübergreifenden Hauptpreises befand die Gesamtjury. Für die einzelnen Preise in den Kategorien setzte sich die Jury wie folgt zusammen:
- Nuran David CalisRegisseur, Theater- und Drehbuchautor
- Nina de la ChevallerieProduzentin, Vorstand Bundesverband Freie Darstellende Künste
- Dr. Gunnar DeckerJournalist und Autor
- Amelie DeuflhardIntendantin Kampnagel, Vorstandsmitglied des Fonds
- René HeinersdorffTheaterdirektor und Autor
- Cornelius „Corny“ LittmannTheatermacher und Unternehmer
- Hannah MaPerformerin, Choreografin, Kuratorin
- Anna-Katharina MüllerDramaturgin und Lektorin
- Carena SchlewittIntendantin HELLERAU – Europäisches Zentrum der Künste
- Theresa SchützTheaterwissenschaftlerin, Journalistin
- Dorothee StarkePräsidentin der INTHEGA
- Jessica WeisskirchenRegisseurin
Symposium: Pleasures and Politics of Cooperation – Kooperationen gestalten und verhandeln
Im Vorfeld zur Preisverleihung fand am 11. Oktober 2023 im Haus der Berliner Festspiele ein halbtägiges Symposium statt. In Panel-Diskussionen, moderierten Arbeitsgruppen und Impulsvorträgen diskutierte das Symposium Potentiale und Konflikte kooperativer Arbeitsformen in den Darstellenden Künsten – auf bundesweiter und internationaler Ebene. Welcher Voraussetzungen bedarf es, um Kooperationen nachhaltig zu verankern? Wie kann ein produktiver Austausch gelingen und wie können Hierarchien in Kooperationsprozessen dekonstruiert werden? Diese Fragen sollten aus verschiedenen Perspektiven u.a. mit den Preisträger*innen verhandelt und debattiert werden.
Der Theaterpreis des Bundes wurde im Jahr 2023 von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien verliehen. Projektträger war das Zentrum Bundesrepublik Deutschland des Internationalen Theaterinstituts e.V. (ITI) in Kooperation mit dem Fonds Darstellende Künste e.V.