Gabi dan Droste, die künstlerische Leiterin des FELD Berlin, im Gespräch mit Christine Wahl
Gabi dan Droste, herzlichen Glückwunsch zum Theaterpreis des Bundes in der Kategorie Freie Produktionshäuser – und zum Auftakt eine Frage, die in dieser Interviewreihe allen Ausgezeichneten gleichermaßen gestellt wird: Können Sie eine Besonderheit benennen, die Ihr Theater unverwechselbar macht, ein Alleinstellungsmerkmal, das wirklich nur bei Ihnen existiert?
Gabi dan Droste: Ich kann auf jeden Fall sagen, was ich bei uns besonders mag. Unser Theater grenzt an einen halbrunden Vorplatz im weniger touristischen Teil von Berlin-Schöneberg, und das fühlt sich ein wenig an wie ein kleines Dorf mitten in der Großstadt: Um uns herum gibt es einen Marktplatz, eine Schule, eine Kirche, einen Spielplatz und ein Seniorenwohnhaus. Entsprechend wird der Vorplatz je nach Tageszeit unterschiedlich genutzt: Früh laufen die Schüler*innen auf dem Weg zum Unterricht vorbei, mittags die Familien, die zum Spielplatz wollen, nachmittags sind oft ältere Menschen hier, um Boccia zu spielen, und abends kommen Jugendliche und hören Musik. Ich glaube nicht, dass die alle wissen, dass wir ein Theater sind. Für manche ist vielleicht nur unser Café wichtig, das wir im Erdgeschoss betreiben, oder die Tatsache, dass man hier zur Toilette gehen kann. Und das gefällt mir an unserem Haus unglaublich gut: dass wir uns hier nicht in einer Blase befinden, in der alle nur mit sich selbst glücklich sind.
Das FELD gilt ja als innovative Spielstätte speziell des jungen Theaters. Aber wenn man Ihnen zuhört, gewinnt man eher den Eindruck eines komplett generationenübergreifenden Ortes.
Droste: Ich glaube, wir haben wirklich zwei Leben. Zum einen eben das gerade beschriebene, das mehr mit dem sozialen Umfeld zu tun hat, und zum anderen den Vorstellungsbetrieb unter der Woche. Allerdings funktionieren unsere Arbeiten, obwohl wir für Kitas und Schulen spielen, in der Tat großenteils auch für Erwachsene, weil sie das Publikum auf verschiedenen Ebenen ansprechen. Neulich kam zum Beispiel eine ältere Dame zu einer unserer Aufführungen – „Weltenwandern“ von DieOrdnungDerDinge –, und weil sie im Foyer stand und auf etwas zu warten schien, fragte ich sie, ob sie mit ihrem Enkelkind da sei. Nein, antwortete sie, sie sei allein gekommen, weil sie das Thema sehr interessiere. Da dachte ich: Super! Das muss sich jetzt nur noch herumsprechen (lacht). Denn diese Art von Zusammenkünften, wo wirklich ganz verschiedene Gruppen zusammentreffen, ist meiner Meinung nach etwas, was der Gesellschaft zurzeit enorm fehlt.
Warum gelingt es Ihnen am FELD so gut, diese Zusammenkünfte zu schaffen?
Droste: Ich denke, das hat viel damit zu tun, dass die Stücke und Inszenierungen bei uns oft partizipativ entstehen. Wir beziehen das Publikum von Anfang an ein, nicht nur durch die Öffnung von Probenprozessen. Diesen Monat hat zum Beispiel „Badeschluss“ Premiere, ein Projekt von Sabine Hilscher und Matthias Rebstock, in dem es um Übergänge geht – also um den Anfang und Abschluss von Lebensphasen und darum, wie wir uns an diesen Wendepunkten selbst verändern. Sabine Hilscher hat dazu als bildende Künstlerin schon lange im Vorfeld mit Kindern zum Thema „Badeschluss“ zu arbeiten begonnen; sie beschäftigen sich mit unterschiedlichen Körperlichkeiten, Mut, Angst und allen Arten von Veränderungen. Das hier entstehende Material fließt nicht nur in die Inszenierung ein. Die Bilder der Kinder stellen wir auch in unserem Foyer aus, mit einer extra Ausstellungseröffnung an einem Nachmittag, wo sich dann auch wieder die Publika wunderbar vermischen.

Es ist noch nicht allzu lange her, als man mit Theater für junge Menschen vor allem lineares Schau- oder Puppenspiel verband – auch in Ihrem Haus befand sich vor Ihrer Leitungsübernahme ein Puppentheater. Sie haben das Feld jetzt ganz buchstäblich neu bestellt und in puncto künstlerischer Sprachen enorm erweitert, zeigen etwa Performance und Tanz für junges Publikum.
Droste: Ich hatte in meinem Berufsleben das Privileg, über einen langen Zeitraum hinweg viel reisen und Inszenierungen in verschiedenen, vor allem europäischen Ländern besuchen zu dürfen. Dabei sah ich immer wieder Abende, die mich wirklich umgehauen haben, weil sie nicht mit den üblichen Schauspielmitteln eine Geschichte von A bis Z durchdeklinierten, sondern ästhetisch völlig andere Wege beschritten und Kindern eben auch mit großer Selbstverständlichkeit zutrauten, diesen Wegen zu folgen. Da saß ich immer total beglückt im Publikum und fragte mich: Warum haben wir so etwas eigentlich nicht in Berlin?
Diesen Ort haben Sie mit dem FELD schließlich geschaffen. Was ist aus Ihrer Sicht das Wichtigste am Profil Ihres Hauses?
Droste: Ich glaube, der wichtigste Punkt besteht tatsächlich in diesen Öffnungsbewegungen – und darin, dass wir wirklich bewusst den Dialog suchen. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf dem Zugang speziell tauber Menschen zur zeitgenössischen Kunst. Wir verwenden den Begriff „taub“, da er eine positive Selbstbeschreibung nicht hörender Menschen ist, unabhängig davon, ob sie taub, resthörig oder schwerhörig sind. Seit drei Jahren arbeiten wir mit dem Schauspieler, Tänzer und Performer Jan Kress zusammen, der völlig zu Recht sagt: Ich bin hier ganz allein. Deshalb wollen wir weitere taube Künstler*innen in unser Haus holen.
Wie verändert das die Arbeit?
Droste: Viele stellen sich Gebärdensprache als eine Art Eins-zu-eins-Übersetzung der Lautsprache vor, was aber ein Irrtum ist. Die Deutsche Gebärdensprache (DGS) ist seit 2002 in Deutschland eine anerkannte Sprache. Sie hat ein eigenes Sprachsystem mit Handzeichen, Mimik und Körperhaltung, das sich komplett von der deutschen Lautsprache unterscheidet. Gebärdensprachen existieren schon seit jeher und wurden zum ersten Mal von Platon beschrieben. Das zu lernen – was wir hier als Team bereits vor einiger Zeit angefangen haben – ist eine schöne Herausforderung. Bei uns im Haus wird prinzipiell möglichst alles, was gesprochen wird, auch in Gebärdensprache kommuniziert.
Für jede Sitzung, die länger dauert als eine Stunde, braucht es zwei Dolmetscherinnen, die sich abwechseln, weil das Gebärdensprachdolmetschen tatsächlich enorm anstrengend ist. Außerdem wird der Arbeitsalltag natürlich von einem permanenten Sensibilisierungsprozess begleitet, wir schulen uns beispielsweise in Workshops, welches Verhalten taube Personen unbewusst verletzt oder diskriminiert. In Austauschen arbeiten wir an dem gegenseitigen Verständnis füreinander. Und zentral ist natürlich in jeder Situation die Visualisierung von Sachverhalten und Informationen: Unser Bildschirm im Sitzungszimmer gehört zu einem der wichtigsten Arbeitsmittel. Diese Prozesse können – und sollen sogar – auch die Kunst entsprechend verändern! Worum es uns gerade nicht geht, ist einfach eine in Gebärdensprache übersetzte hörende Mehrheitskultur zu präsentieren.
Eine große Besonderheit des FELD besteht darin, dass hier das Who is Who der deutschsprachigen Performanceszene arbeitet – aber eben für Kinder. War es eigentlich schwer, als Sie 2019 anfingen, Gruppen wie Turbo Pascal, Fräulein Wunder AG oder DieOrdnungDerDinge für die Arbeit für ein so junges Publikum zu gewinnen, oder lief das quasi von selbst?
Droste: Das sind schon alles Künstler*innen, die große Lust auf Öffnungsprozesse haben, insofern habe ich das überhaupt nicht als schwierig erlebt. Hinzu kommt, dass wir auch versuchen, für gute Arbeitsbedingungen zu sorgen – dafür, dass die Leute sich hier wohlfühlen, optimal begleitet werden und selbstbestimmt arbeiten können. Und das wirkt sich entsprechend aus.Dennoch sind Kinder ja schon ein besonderes Publikum.

Dennoch sind Kinder ja schon ein besonderes Publikum.
Droste: Klar, das sind wahnsinnig lebendige, empathische und herausfordernde Zuschauer*innen; da trifft das, was sonst eigentlich fast schon zu einem Theaterklischee geronnen ist, wirklich ganz spürbar zu – nämlich, dass tatsächlich jede Vorstellung anders ist. Wer in diesem Bereich Erfahrung hat, kennt das sehr gut und weiß es enorm zu schätzen, aber für viele Künstler*innen, die erstmals hier arbeiten, stellt das ein echtes Aha-Erlebnis dar. An diese Fragilität muss man sich erst gewöhnen, und darauf muss man auch Lust haben.
Können Sie selbst mit Ihren langjährigen Erfahrungen im Bereich des jungen Theaters von ihrem Publikum eigentlich noch überrascht werden?
Droste: Ich bin tatsächlich immer wieder aufs Neue fasziniert, wie Kinder ihre eigene Lebenswelt wahrnehmen und wie viel sie über die verschiedensten Zusammenhänge wissen – zum Beispiel über Füchse.
Das müssen Sie bitte erklären!
Droste (lacht): Ich habe in der vergangenen Saison ein Stück über Füchse entwickelt: „Aus/Gefuchst“, eine musikalische Tanzpoesie für Publikum ab fünf Jahren. Dafür konnten wir dank einer Förderung recht umfangreich recherchieren und haben zum Beispiel ein Wildtierforschungsinstitut besucht, eine Fuchswissenschaftlerin getroffen und waren auch in einer Schule in einer speziellen Fuchsklasse, die sich besonders intensiv mit diesem Tier auseinandersetzt. Die Kinder dort wussten derart gut über Füchse Bescheid, dass wir uns für unser Stück tatsächlich von ihnen Rat eingeholt haben! Für uns war es enorm beeindruckend und aufschlussreich, ihre Begeisterung für Füchse zu erleben, die wiederum den künstlerischen Prozess beeinflusst hat.

Entsprechend viel trauen Sie auch Ihrem Publikum zu. Die Performancegruppe Turbo Pascal hat bei Ihnen zum Beispiel einen Abend über die Philosophin Donna Haraway gezeigt, deren Theorie selbst für viele Erwachsene nicht leicht zu verstehen ist. Wie ist es gelungen, dazu für Menschen ab zehn Jahren Zugänge zu schaffen?
Droste: Turbo Pascal haben sich besonders auf Haraways Buch „Staying with the trouble“ aus dem Jahr 2016 gestützt, das dazu aufruft, mittels Geschichten eine neue Verbundenheit mit der Natur zu entwickeln. Die Essenz des Projektes bestand darin, neue Lebewesen zu erfinden: In der Mitte des Performance-Raumes befanden sich Autoreifen, die flackerten wie ein Lagerfeuer, um das herum die Zuschauer*innen saßen und schließlich in kleinen Sitzgruppen mit Tablets gemeinsam Fantasiekreaturen entwickelten.
Was bedeutet Ihnen die Auszeichnung in der Kategorie Freie Produktionshäuser – auch unter dem Aspekt, dass mit dem FELD speziell ein Theater für junges Publikum gewürdigt wurde?
Droste: Die Auszeichnung bedeutet ungeheuer viel. Sie ist vor allem eine Anerkennung für die gesamte Szene – eine Bestätigung dafür, dass die enorm wichtige Arbeit, die all die Künstler*innen und Kolleg*innen auf diesem Gebiet leisten, auch gesehen wird. Ich selbst habe mich ja vor geraumer Zeit bewusst für den Bereich des jungen Theaters entschieden, um so oft wie möglich zwischen Kindern im Publikum sitzen zu können – ich liebe das einfach!
Welche Investitionspläne haben Sie für das Preisgeld?
Droste: Wir möchten den Schwerpunkt mit unserer tauben Community konsolidieren und weiter ausbauen. Aber das geht, wenn man es wirklich konsequent und nachhaltig verfolgen will, mit enormen Herausforderungen einher – nicht nur, aber natürlich besonders auch finanzieller Art. Insofern sind wir noch nicht hundertprozentig sicher, wie die exakte Umsetzung des Preisgeldes aussieht; daran werden wir in der nächsten Zeit arbeiten.
Fest allerdings steht, dass wir uns riesig darüber freuen, weil wir damit vieles tun können, wofür uns sonst die Ressourcen fehlen. Wir haben ja keinen eigenen Programmetat, sondern müssen für jede Produktion, die wir hier entwickeln, für jedes Projekt, das wir hier durchführen möchten, eine Finanzierung finden. Jeder Antrag, der nicht bewilligt wird, bedeutet eine Lücke im Spielplan.